Im März 2014 schreibe ich im Blogbeitrag „In 5 Schritten aus der Krise: Wie Sie Ihre Fehler beinahe ungeschehen machen“ zu den Vorkommnissen rund um EPO-Doping bei den olympischen Winterspielen in Sotschi: „Johannes Dürr sagte einfach mit entwaffnender Ehrlichkeit, was Sache ist: Ich habe einen Fehler gemacht, der durch nichts zu entschuldigen ist, und es tut mir leid!“.

Das war – wie gesagt – 2014.

Heute schreiben wir 2019 und die nordische Ski-WM in Seefeld ist Vergangenheit. Die Geschichte der neuerlichen – viel größeren – Doping-Affäre wird allerdings erst aufgearbeitet, täglich erfahren wir Latest News rund um ein breit angelegtes, hoch-professionelles Doping-Netzwerk. Vor den Ergebnissen aller Untersuchungen kann einem (schon) grauen…

Wieder ein ARD Interview mit Johannes Dürr

Im 51 Minuten ARD TV-Interview spricht Johannes Dürr über die Zeit nach Sotschi 2014, also nach seiner Dopingsperre, bis zur erneuten Überführung, die in seiner Verhaftung Anfang dieser Woche gipfelte.

Um wieder aus dem oben erwähnten Beitrag zu zitieren: „Es ist übrigens aus der Marktforschung bekannt, dass Menschen einmalige Fehler verzeihen – wenn die Unternehmen glaubhaft machen, dass auch wirklich alles getan wird, um in Zukunft Ähnliches zu verhindern. Dauerhafte Mängel werden hingegen gar nicht gut geheißen“.

Johannes Dürr macht aus kommunikationstechnischer Sicht in diesem Interview (siehe Interviews für TV, Radio und Print) eigentlich alles richtig – er ist offen, emotional und (wirkt) ehrlich – es fällt einem schwer, diesen Mann nicht zu mögen. Auf jemanden zu treten, der am Boden liegt, ist schwer. Wir sehen und hören einen Sportler vor den allergrößten Trümmern seines Lebens und denken uns vielleicht „Langläufer, Radfahrer, Leichtathleten… – eh schon wissen“…
Wir hören Johannes Dürr immer wieder unterscheiden zwischen Leistungssportler und Mensch und lauschen seinen Ausführungen, die tatsächlich an eine gespaltene Persönlichkeit erinnern mögen.
Wie menschlich ist Spitzensport? Ist ein Spitzensportler noch Mensch? Ist die Tour de France für einen (normalen) Menschen machbar? Vor allem: wie ehrlich ist „das System“ Spitzensport?

Und medientechnisch? … noch was zu retten?

Der emotional vor der Kamera sitzende Johannes Dürr sagt immer wieder, ER („der Mensch Johannes“) habe den Kampf gegen IHN („den Spitzensportler“) verloren. Will der Seher das nun glauben, darf er es glauben, wird er es glauben?
Immerhin… Nach Sotschi schrieb Dürr ein Buch über seinen Weg aus dem Doping („Der Weg zurück: Eine Sporterzählung„), gab Interviews und veranstaltete eine erfolgreiche Crowd-Funding Kampagne für seine Rückkehr in den Spitzensport (die 39.000 Euro von Menschen einsammelte, die ihn unterstützen wollten, mit einem sauberen Sieg bei der Heim WM in Seefeld 2019 aus dem Spitzensport abzutreten).
Wenn man Mist baut, muss man dazu stehen. Alleine: was, wenn man diesen Mist zum zweiten Mal – diesmal noch viel dreister – begeht?

walk the talk

So lautet eine alte Regel. Wer über etwas spricht, sollte das tunlichst auch selbst leben… („Authentisch sein – Fluch oder Segen„)

Kommunikationstechnische Mittel, um gut aus einer Krise heraus  zu kommen, nämlich die Initiative zu ergreifen und proaktiv in den Schadensbegrenzungsmodus überzugehen, wurde hier nicht nur versäumt sondern (perfiderweise) ins völlige Gegenteil verkehrt: gelogen wurde bis zum Schluss. Proaktiv zwar – JA – proaktiv gelogen.
Das ganze Buch ist eine Lüge, jedes Interview, jeder Vortrag (noch am 19.3. in der Buchhandlung Thalia in Wien hätten wir das zu hören bekommen). Dabei hilft es gar nichts, wenn Dürr sich beim Lügen mit dem Who is Who der allerstärksten Radfahrer (oha!) in bester Gesellschaft befindet: Marco Pantani, Lance Armstrong, Jan Ullrich oder Alberto Contador. Wir hörten von untergeschobenen, leistungssteigernde Rindersteaks und von einer – ebenfalls leistungssteigernden – übertauchten Krebserkrankung. Eigentlich ganz schön zynisch, möchte man meinen.

Das Credo für ein gelungenes Interview, eine gelungene Rede: „Sei authentisch“ oder „erzähle eine Story„.

Ja schon… aber wer will diese Story (jetzt noch) hören?

„Eine Lügengeschichte über eine Lügengeschichte“

So lautet eine Amazon-Rezension über Dürr’s Buch oder – an anderer Stelle – „(…) trotzdem hoffe ich für ihn, dass er nicht ganz alleine ist und endlich lernt, was wirklich wichtig ist im Leben.“ .
Wäre ich sehr zynisch und recht spassig aufgelegt, würde ich sagen, Dürr betreibt in seinem Buch und in den zahlreichen Interviews gekonntes Storytelling: „Geschichten muss man nicht er-finden. Es geht darum, sie zu finden und zu erzählen. Das ist der Kern von Georg Wawschineks CoreTelling®. Den Kern Ihrer Geschichte zu finden und in präzises, gekonntes Storytelling zu verpacken.“

Blickt man aber weniger spassig, dafür aus der Sicht des Medienprofis (von mir aus auch aus der Sicht eines Psychologen) auf die ganze Causa, so wiederholen wir an dieser Stelle einfach den Titel dieses Beitrages, wir erleben mit Sicherheit den „end of the spin“.
Niemand wird Johannes Dürr jemals wieder glauben, egal wie traurig er in Interviews auch schauen mag. End of the Game. End of the spin.

Die Website von Johannes Dürr ist nicht erreichbar / offline

Ein Glaubwürdigkeitsproblem hat jemand, der alle 5 Jahre seine Website offline stellen muss… (Screenshot der Website www.derwegzurueck.at, abgefragt am 10.3.2019). Und – nein – die website wurde nicht mit WW…. abgefragt, sie wurde vom Seitenbetreiber so umgeleitet.